Bildwissen – Wissensbilder, der Untertitel spezifiziert die Richtung dieses Buches: „Im Mittelpunkt der Beiträge stehen Dynamiken des Herstellens und Wahrnehmens von Bildern und deren Rolle für Wissensproduktion…“ (Coelsch-Foisner, Herzog, 2020)
Das hat mich sehr interessiert und ich habe den Verlag um ein Rezensionsexemplar gebeten.

 

Das Buch

Für mich ist es eine originelle Fügung, dass das Buch die Beiträge einer Wiener Jahrestagung (2018) des fünften Forschungsclusters der ARGE Kulturelle Dynamiken der Österreichischen Forschungsgemeinschaft beinhaltet. Der Verlag des Buches sitzt in Heidelberg in Deutschland und nun ist der Inhalte des Buches wieder nach Wien gereist, zu mir auf den Schreibtisch.

Die Tagung widmete sich der Visualisierung mit dem Fokus der Zusammenhänge von eikon und episteme – Bild und Erkenntnis.
„Der Begriff des ‚Bildes‘ wird zu diesem Zweck breit gefasst als Vorstellung und Darstellung. Visualisierung bezeichnet sohin eine Denk- und Kulturleistung und ist Indiz für das kognitive Potenzial Einzelner und ganzer Gesellschaften.“ (Coelsch-Foisner, Herzog, 2020).

In meiner Arbeit, der Visualisierung von Wissen im kreativen Denken, in Kommunikation und Wissenstransfer mit und für thematische Experten (Nicht-Grafiker) komme ich mit vielen Fachdisziplinen in Berührung. Zusätzlich versuche ich, mich möglichst viel(fältig) zu Visualisierungen weiterzubilden. Vielleicht begann dieses Interesse schon in meiner Kindheit. Meine Eltern sind Geologen. Geologische und geographische Visualisierungen waren bei uns zu Hause Alltag. Doch dieses Buch reißt mich trotz meines vorher bestehenden Interesses und gewissen Vorwissens sehr mit! Dies bringen seine inhaltliche Vielfalt und die damit verbundenen Einblicke mit sich. Hinzu kommen die Arten von Visualisierungen, ihre Rollen und die Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst für diese Visualisierungen. Die Beiträge beschäftigen sich u.a. mit

  • Synthetischer Biologie,
  • Kulturgeschichte,
  • neurologischen Erkrankungen,
  • der Visualisierung des Unsichtbaren in utopisch-phantastischer Literatur,
  • der Körperwerkstatt der Schauspielkunst,
  • der klassischen Archäologie zwischen Sichtbarmachung und Veranschaulichung,
  • der Unterseite der Erd-Oberfläche,
  • der Geovisualisierung als Brücke zwischen realen und virtuellen Welten,
  • der Sichtbarkeit/Unsichtbarkeit von Armut,
  • Theater-Bildern und Raum.

Als Bonus gibt es noch einen Bildteil und ein Perspekteure-Buch sowie zwei Daumenkinos.
Sie müssen zugeben, das klingt nach großer Verführung :-) Es ist auch eine! Ich konnte das Buch gar nicht aus der Hand legen und war doch nach den immerhin knapp 300 Seiten etwas traurig, dass es schon zu Ende war.

Um das Buch vorzustellen habe ich zwei Beiträge ausgewählt, auf die ich etwas näher eingehe. Sie zeigen höchst unterschiedliche Visualisierungen beziehungsweise Nicht-Visualisierungen aus dem Spektrum der Beiträge. Ich ergänze dies mit interessanten Zitaten aus weiteren Beiträgen.

 

Synthetische Biologie und Kunst

Visualisierung 1 Synthetische Biologie von Uwe B. Sleytr
„Einige Skulpturen sind aus zwei oder mehreren Teilen komponiert, wobei im unteren Teil bewusst morphologische Details des Hauptkörpers enthalten sind. Damit soll eine mögliche Weiterentwicklung und Informationsweitergabe von evolutionären Abschnitten symbolisch angedeutet werden.“ (Sleytr, 2020)

Visualisierung 2 Synthetische Biologie von Uwe B. Sleytr
„Als weitere Steigerung in Richtung der Extrapolation eines unvorstellbaren evolutionären Geschehens habe ich gemeinsam mit dem prominenten Konzeptfotografen Fritz Simak die Skulpturen mit gefärbtem Wasser beschüttet.“ (Sleytr, 2020)

Diese beiden Abbildungen aus dem Beitrag von Uwe B. Sleytr (Arbeitsgebiete: Nanobiotechnologie, Synthetische Biologie, Biomimetik) zeigen bereits die eingangs erwähnte Verknüpfung von Wissenschaft und Kunst in Visualisierungen. Schauen wir für die Hintergründe zuerst einmal auf Synthetische Biologie. Ihr Ziel ist „die künstliche Erzeugung ‚biologischer Systeme‘ (Biomoleküle und supramolekularer Strukturen, Zellen, Gewebe, Organe und Organismen) nach ingenieurwissenschaftlichen Prinzipien“. Dabei wird u.a. „das Selbstorganisationsvermögen von Molekülen als ‚molekulare Baukästen‘ genützt“. Die damit einhergehenden „Biologischen Technologierevolutionen“ könnten es möglich machen, dass man damit „in das Evolutionsgeschehen eingreifen kann“. Wie kann man nun diese „unvorstellbare Zukunft“ sichtbar machen? Lösbar scheint das nur mit einer Evolution der Visualisierung. Denn für diese Wissensvermittlung muss man über bekannte Visualisierungsarten hinausgehen. Um „Anschaulichkeit zu erreichen“ nutzt der Autor die Kunst. Die Visualisierungen sind Masken, die „tiefe archaische Ebenen unseres Bewusstseins“ ansprechen könnten. Mit dieser Art des Herangehens ist er nicht allein. „Die sogenannte Bioart hat sich den letzten 15 Jahren unglaublich rasch entwickelt.“ „Mit den Mitteln der Kunst lässt sich somit auch jene Sprachlosigkeit überwinden, die einen in der Nähe des Unvorstellbaren erfasst.“

Alle Zitate stammen aus Sleytr, 2020.

 

Armut sichtbar machen?

Der Beitrag von Clemens Sedmak und Elisabeth Kapferer beantwortet diese Frage aus vielen Perspektiven und passend zu den Erkenntnissen ohne Visualisierungen. Trotzdem oder gerade deswegen macht er sehr nachdenklich in Bezug auf unserem Umgang mit Armut. Damit weitet der Beitrag den Blick.

Wenn man Armut sichtbar macht, wie gelingt das ohne „Beschämung und Scham“. Doch ist das Nicht-Sehen besser? Clemens Sedmak und Elisabeth Kapferer plädieren „für eine neue Form und Ethik der Wahrnehmung“. Dazu widmen sie sich ausführlich den Aspekten der „Unsichtbarkeit von Armut“ und dem „Sichtbar machen – Sichtbar werden“.

Eine Kategorie der Unsichtbarkeit ist das „aktive Verbergen“. Damit ist hier nicht gemeint, dass arme Menschen ihre Armut zu verbergen versuchen. Es sind damit „vielmehr bestimmte Handlungen“ gemeint „seitens der Politik, öffentlicher Verwaltung oder auch der sogenannten (reicheren) Mehrheitsgesellschaft, die darauf abzielen, Armut aus dem Sichtbereich zu verdrängen“. Stichwort „Bankraub“ (Schenk, 2014). Das ist das für mich stärkste und tragischste Wort im ganzen Buch. Es ist auch ohne Bild so stark, dass es mich jetzt im öffentlichen Raum begleitet. Gemeint ist, dass Bänke entfernt werden, um damit Menschen fernzuhalten. „Im feindlichen Design, so könnte man sagen, manifestiert sich und visualisiert sich die gesellschaftliche Ablehnung gegenüber dem sozialen Phänomen, das unsichtbar werden und bleiben soll.“

Alle nicht anders gekennzeichneten Zitate stammen aus Sedmak, Kapferer, 2020.

 

Gedankenbilder

Und hier lasse ich noch ein paar Gedankenbilder aus weiteren Beiträgen aufleuchten. Sie sollen noch mehr die anregende Vielfalt des Buches veranschaulichen.

„Jede Art bewusst hinterlassender Spur“ – unter anderem Visualisierung – „lässt auf Geist und Psyche ihres Verursachers schließen.“ (Pokorny, 2020)

„Bilder sind Netze, was auf ihnen erscheint, ist der haltbare Fang.“ Elias Canetti (Fliedl, 2005, in Innerhofer, 2020)

„Ja, ich denke, Visualisierung ist ein Werkzeug der Erkenntnis, und eine Aufmerksamkeitsschule: in dem Sinne, dass man merkt, wenn einem etwas durch die Finger rutscht. Wenn ich etwas mit der Hand begreife, merke ich, dass ich wahrscheinlich die Fülle der Erfahrungen nicht ergreifen werde, sondern immer nur einen Teil herausgreife, den ich fassen kann mit meinen Worten oder eben in der Visualisierung mit meinen bildnerischen Fähigkeiten.“ Tassilo Tesche (Kapplmüller, Tesche, 2020)

Es fehlen Bilder in meinem Blogpost? Es gibt selbstverständlich viele im Buch und sie lohnen sich. Doch mehr wird hier nicht verraten.

 

Fazit

Wie schon mehrfach angedeutet, finde ich dieses Buch faszinierend und hilfreich, um Denkgrenzen in der Visualisierung zu überschreiten beziehungsweise überschreiten zu lernen. Ich bin daher froh und dankbar, dass es dieses Buch gibt. Die Vielfalt und die Verständlichkeit der Beiträge sind sehr hilfreich.

Gewünscht hätte ich mir, dass die Beiträge in etwas gleich im Umfang sind, um überall umfassend zu lernen. Es gibt jedoch leider ein paar Ungleichgewichte.

Dies schmälert jedoch nicht den großen Wert des Buches zu inspirieren, andere Wege zu suchen, um Wissen immer besser sichtbar zu machen. Der Blick in andere inhaltliche Disziplinen kann ein Startpunkt dafür sein.

Quellen:
Das vorgestellte Buch
Coelsch-Foisner, Sabine (Hg.) Herzog, Christopher (Hg.) (2020) Kulturelle Dynamiken/Cultural Dynamics / Visualisierung. Bildwissen – Wissensbilder. Universitätsverlag WINTER, Heidelberg

Zitierte Beiträge darin
Innerhofer, Roland (2020) ‚Die Bilder an den Mauern der Sonnenstadt‘: Zur Visualisierung des Unsichtbaren in der in utopisch-phantastischen Literatur

Coelsch-Foisner, Sabine, Herzog, Christopher, Kapplmüller, Heribert, Tesche, Tassilo (2020) Sabine Coelsch-

Foissner im Gespräch mit dem Bühnenbildner Heribert Kapplmüller und dem Szenografen Tassilo Tesche

Pokorny, Erwin (2020) Visualisierung im kulturhistorischen Kontext

Sleytr, Uwe B. (2020) Von der Syntheitschen Bilogie zur Kunst

Sedmak, Clemens, Kapferer, Elisabeth (2020) Armut sichtbar machen

Zitate in Beiträgen
Fliedl, Konstanze (2005) Nachwort in Kunst im Text. Stroemfeld, Frankfurt a.M., Basel:

Schenk, Martin (2014) Bankraub und Espressokanne – über Gratissitzen und Eis brechen. In: Sedmak, Clemens (Hg.) (2014) Lesebuch Soziale Ausgrenzung, mandelbaum, Wien