Dieser Post stellt das Format Argumente-Landkarte vor und wie es nützt, sichtbar kritisch zu denken. Eine wichtige Ergänzung meiner Posts zu Denklandkarten und Wissenslandkarten.
Argument Map?
Der Name ist Programm. Argumente-Landkarten kartographieren die logische Struktur von Argumenten. Das heißt, sie zeigen Prämissen, aus denen eine Schlussfolgerung (Behauptung, Sachverhalt) gezogen wird.
Dieses Prinzip verdeutlich hier erst einmal ein klassisches Textbeispiel:
„Alle Menschen sind sterblich.“ (Prämisse)
„Sokrates ist ein Mensch“ (Prämisse)
Es folgt die Schlussfolgerung: „Sokrates ist sterblich“.
Und die Argument Map dazu (Newcomb, 2011):
In dieser Variante wird die inhaltliche Struktur mit Farbe noch sichtbarer gemacht. Die Farbverwendung ist nur zur besseren Erklärung der Struktur gedacht (Newcomb, 2011):
Argument Maps gehorchen anderen Farbkodierungen, dazu gleich mehr.
In einer Argument Map kann es auch Co-Prämissen geben. Die nicht unabhängig sind. Sie werden abhängige Prämissen genannt (Wikipedia, 2018):
Auch in diesem Beispiel ist eine Co-Prämisse vorhanden, siehe links unten (Rider Y., Thomason N., 2013):
Enthalten sind auch ein Einwand (rot) sowie die Widerlegung eines Einwandes (orange). Das ist die Farbsprache der Software RationaleTM. Eine Farbsprache, die man auch einfach mit Moderationskarten offline nutzen kann.
Soweit einmal eine einfache Vorstellung des Formats. Die aber bereits viel Nutzen bringt. Dazu weiter unten mehr Tipps.
Gerade heute erscheint mir kritisches Denken wichtiger denn je und ganz besonders gemeinsames kritisches Denken. Einerseits weil wir gesellschaftlich mit viel unkritischem Denken konfrontiert werden, andererseits weil Herausforderungen immer komplexer werden. Und dann gibt es ja auch noch Information Overload und Non-Information Overload.
Argument Maps helfen da. Sie ermöglichen, systematisches zu hinterfragen. Mit diesem visuellen Denken bekommt man ebenfalls die Chance, kognitive Verzerrungen zu entdecken.
Verblüffend ist vielleicht in diesem Zusammenhang, wie alt dieses Format eigentlich ist. Die vermutlich erste Argument Map schuf 1826 der Engländer Richard Whately. Er war u.a. ein Logiker, Ökonom, Theologe. Mit der Baumstruktur wollte er Studierende gewinnen. Die Struktur sollte ihnen einleuchten und praktisch erscheinen (…). Dass dies tatsächlich im Studium sehr hilfreich sein kann, haben in unserer Zeit Forschungen von Rider und Thomason nachgewiesen, siehe Abbildung oben. Sie haben Studierende in einem Kurs eine Vielzahl von Argumenten kartieren lassen. Dadurch verbesserten sich die Fähigkeiten der Studierenden beträchtlich. Sie hinterfragten u.a. Argumente besser, wurden klarer in ihrem Denken und besser im argumentativen Schreiben. (Rider Y., Thomason N., 2013)
Wie erstellt man eine Argument Map?
Start
Man beginnt mit der Behauptung, dem Sachverhalt. Und sucht dann allein oder gemeinsam nach Argumenten dafür beziehungsweise dagegen. Schrittweise, also in Etappen, geht man immer tiefer, bis alles gesagt / auf dem Papier / im Computer ist (REASONINGLABTM, o.J.):
Hier sind wieder die Argumente, die die Behauptung stützen grün und jene, die sie nicht stützen rot sowie niederlegende Argumente orange.
Eine vertikale Visualisierung kann unter Umständen gewöhnungsbedürftig sein. Es geht auch horizontal (Hartel, 2014).
Achtung
Dies ist keine MindMap. Dies ist keine Concept Map.
Von der Disziplin / Strenge der Ausführung zeigt die Argument Map wohl in Richtung Concept Map. Auch was das Zerlegen angeht. Doch hier geht es um eine Pro- und Contra-Zerlegung. Bei der Concept Map geht es darum, ein betrachtetes Konzeptes in seine Bestandteile zu zerlegen.
Regeln
helfen, klar und kritisch zu denken (Ostwald, o.J.):
- Jede Prämisse muss ein verständlich formulierter Satz sein.
Innerhalb dieses Satzes gibt es kein Pro oder Contra. Falls so etwas auftaucht, muss man in weitere Prämissen / Co-Prämissen zerlegen. - Co-Prämissen „halten Händchen“ mit der dazugehörigen Prämisse.
Tatsächlich ist das der englische Begriff (holding hands). Es bedeutet, dass die Zusammengehörigkeit inhaltlich ausgedrückt wird und über ein in beiden auftauchendes Schlüsselwort.
Oben in den Abbildungen mit Bible und LMAP („Lots of Argument Mapping Practice“) erkennbar. - Und man sollte bitte kein Kaninchen aus dem Hut ziehen (rabbit rule).
Wenn es in der untersuchten Behauptung um Sokrates und seine Sterblichkeit geht, dann geht es darum in der Argumenten. Was die Worte Sokrates und Leben / Sterblichkeit / etc. anzeigen.
Nicht immer sind Regeln eine Freude, doch diese hier finde ich sie einleuchtend und hilfreich.
Evaluation
Argument Maps dienen dem kritischen Denken. Daraus folgt – ähnlich wie beim Brainstorming – es gibt zwei Runden. 1. Zuerst wird gesammelt. 2. Danach evaluiert. Hier eine Beispielsabbildung, wieder aus der Software RationaleTM. (© ReasoningLab, o.J.)
Software
Wie oben schon gesagt, kann man auch offline eine Argumente-Landkarte erstellen. Je nach Situation und Art der Arbeit und der benötigten Dokumentation, muss man entscheiden ob man Software verwendet. Ganz einfach, weil zumeist vorhanden, und wenn die Ausgereiftheit nicht zu entscheiden ist, geht das mit „Bordmitteln“ – wie mit MS Office oder Visio oder ähnlichem.
Software genau für diesen Zweck gibt es auch. Ich liste hier auf, was ich kenne und was zur Zeit verfügbar ist. Ergänzungen sind als Kommentar willkommen.
- https://www.rationaleonline.com bietet erschwingliche Software an, für den Bildungsbereich auch noch mehr reduziert.
Wie kann man die Maps nutzen?
Vielleicht nutzen Sie die Wissensmanagement-Methode Dialogue Mapping. Dann könnten Sie das Argument Map-Format als einen Spezialfall verwenden. Man kann ja begleitend zu einem Gespräch / einer Diskussion, die angeführten Argumente mappen und so sich externalisierendes Wissen fest halten.
Generell eignet sich natürlich das Format für Pro- und Contra-Analysen.
Wissenstransfer inklusive, wenn gemeinsam Menschen mappen, die unterschiedliche Blickwinkel mitbringen.
Lernende (SchülerInnen, Auszubildende, Studierende) lernen so sichtbar, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Dafür gibt es eigentlich keine Fächergrenzen.
Auch das Erkunden von Problemen oder für Entscheidungen beziehungsweise deren Dokumentation bietet sich Argument Map als Arbeitsmittel an.
Zu diesem Blogpost haben mich TeilnehmerInnen der Ausbildung zum/r zertifizierten Wissensmanager/in beim TÜV Austria motiviert. Sie gaben mir das Feedback, dass sie dieses von mir vorgestellte Wissenslandkarten-Format besonders nützlich finden, um Entscheidungen zu dokumentieren. Denn die fertige Map dokumentiert nicht nur gut, sondern transferieret auch den Nicht-Teilnehmern des Mappens das Wissen übersichtlich an.
Fallen Ihnen noch mehr Nutzungsmöglichkeiten ein? Dann freue ich mich auf Ihre Kommentare.
Alles Gute für Ihren ersten Test.
PS: Natürlich kann man das Format auch grafisch freier gestalten (Verhulst, 2013):
Quellen:
(Hartel, 2014) Hartel, Edgar (2014) How to make and use argument maps : Avoid endless discussions. In: Decision making and more.
(Newcomb, 2011) Newcomb, Ron (2011) Argument Maps for Unscripted Conversation. In: Gamasutra
(Ostwald, o.J.) Ostwald (o.J.) ARGUMENT MAPPING – THE BASICS
(REASONINGLABTM, o.J.) REASONINGLABTM (o.J.) Argument Mapping
(© ReasoningLab, o.J.) © ReasoningLab (o.J.) Educators’ Guide to Rationale. Get Thinking!
(Rider Y., Thomason N., 2013) Rider Y., Thomason N. (2013) Cognitive and Pedagogical Benefits of Argument Mapping: L.A.M.P. Guides the Way to Better Thinking. In: REASONINGLABTM
(Verhulst, 2013) Verhulst, Stefaan (2013) Visual argumentation. In: GOVLAB
(Wikipedia, 2018) Diverse Autoren, Wikipedia (2018) Co-premise
Abbildung ganz oben von Ousa Chea frei auf Unsplash
Interessant sind auch die Möglichkeiten, welche die Debatten-Plattform Kialo bietet: „Kialo is the easiest way for people to discuss complex topics and understand each other’s thinking“.
https://www.kialo.com
Wobei die Absicht der Debatten-Seite Kialo weniger darin liegt, ein Argument „gewinnen“ zu sehen, sondern Menschen der Situation auszusetzen, Argumente der Gegenseite anzuhören.
Ein Phänomen, welches in Zeiten von Wirrkopf No. 45 und nach der Wahl in Brasilien an Bedeutung gewinnt.
Die Beteiligten an einer solchen „reifen“ und im besten Fall übersichtlichen, evtl. moderierten Diskussion, können sich dann wieder eine eigene, reflektierte Meinung bilden. Instrumente, welche dieses Diskurskultur etablieren helfen, sind hilfreich.
Die Webseite Kialo ist vermutlich nicht mehr als ein erster Wurf, ein Versuch und sicher nicht perfekt. Doch die Stossrichtung der Idee ,hat grosses Potenzial.
Danke für die Ergänzung!!