„… Alexander Kluge: Man nimmt also den Stock, die Krücke, also die Metapher, ja…
Heiner Müller: …und dann gibt es eben das Hebelgesetz und die Metapher trägt dich weiter, als du denken konntest, vorher. …“
(Müller, Kluge, 1988-1995)

Wie nützlich Metaphern sind, um Wissen sowohl kreativ sichtbar als auch kreativ nutzbar zu machen, haben wir hier im Blog in einigen Artikeln beleuchtet. Heute zeige ich Ihnen eine scheinbar unerbittliche Metapher – den Friedhof – und die unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten dieser Metapher im Berufsleben.

Wir beginnen ein neues Projekt. Wir haben Ziele! Wir haben einen Plan! Und wir machen eine Risikobetrachtung? Gut, wenn dies im Firmenablauf Richtlinien vorschreiben. Noch besser, wenn dann alle auch noch Lust und Energie haben für kreatives Nachdenken.

Zotter

Eine kreativer Weg ist visuelles Risiko-Brainstorming mit der Methode Pre-Mortem (Gray, Brown, Macanufo, 2010). Postmortale Untersuchungen boomen in der Kriminalliteratur, in Fernsehserien und Filmen. Vorher nachzudenken, was schief gehen könnte, boomt vermutlich nicht in gleichem Maße.

Die kraftvolle Hebelwirkung der Metapher zeigt auch eine andere weitere Nutzung der Metapher Friedhof. Der Ideenfriedhof der Zotter Schokoladen Manufaktur GmbH in der Steiermark in Österreich: „Der kurioseste Friedhof der Welt. Schoko-Grabsteine erinnern an Ideen und Schokosorten, die es nicht mehr gibt. Letzte Station – hier ist alles zu Ende oder fängt wieder von vorne an.“ (Zotter-Webseite, 2013). Zu besichtigen in Riegersburg im Essbaren Zotter-Tiergarten. Ein wunderbar ungewöhnliches Beispiel Wissen sichtbar zu machen!

Josef Zotter - der österreichische Geschäftsführer der Fa. Zotter Schokolade betreibt in Riegersburg in der Steiermark eine Schokoladenmanufaktur

Herr Zotter, hier im Bild auf dem Ideenfriedhof, hat mir seine Nutzung der Metpaher Friedhof freundlicherweise in einem Interview erklärt.

Annette Hexelschneider: Was hat sie – ausser vermutlich auch Marketing-Gedanken – bewogen, diesen Friedhof zu beginnen?
Josef Zotter: Wir haben 2012 ein Doppeljubiläum gefeiert – 20 Jahre handgeschöpfte Schokolade und 25 Jahre Zotter als Familienunternehmen. Wenn man auf die Geschichte zurückblickt, fallen einen natürlich viele Kreationen und Ideen ein, die es mal gab und die ich gern hatte, die aber längst schon vergessen sind. Ideen werden ja immer nur geboren, aber sie sterben eben auch und das wollte ich zeigen und mich außerdem auch persönlich erinnern, das ist ein Teil meiner Geschichte. Auf dem Ideenfriedhof liegen Ideen, die nie umgesetzt wurden und auch Kreationen, die ich begraben habe.

Annette Hexelschneider: Was hat das bei Ihnen, Ihren MitarbeiterInnen und Ihren KundInnen bewirkt?
Josef Zotter: Ein Ideenfriedhof hat die Welt noch nicht gesehen, deshalb amüsieren sich unsere Kunden und auch unsere Mitarbeiter darüber. Dieser Friedhof hat ja nichts Trauriges an sich wie andere Friedhöfe. Die Leute finden ihn toll und lesen auf den Grabsteinen, was wir schon alles angestellt und hergestellt haben. Und mit allem, was sie lesen lernen sie den Zotter besser kennen. Viele Kunden erinnern sich plötzlich an Schokoladen, die einfach verschwunden sind und wir haben eine Menge Mails und Anfragen bekommen, einzelne Sorten wiederzubeleben. Das tun wir jetzt auch. Für kurze Zeit exhumieren wir Kreationen vom Ideenfriedhof. Unsere Kunden wissen das zu schätzen, weil sie sich bewusst sind, dass die Sorten nur 2 Monate wieder zu haben ist und dann wieder verschwinden. Sie nehmen also die Vergänglichkeit von Ideen und Kreationen wahr und genießen bewusster. Ich war ganz gerührt, dass einzelne Kreationen so sehr vermisst werden und freue mich natürlich, wenn ich eine Idee wieder aufleben lassen kann, wenn auch nur ganz kurz.

Annette Hexelschneider: Nun könnte man sagen, ja, der Herr Zotter ist ja erfolgreich, der kann sich leisten, seine „Fehler“ zu zeigen, aber ich? Was kann Jedefrau und Jederman aus Ihrem Ideenfriedhof für die eigene Arbeit, den eigenen Umgang mit „Fehlern“ lernen?
Josef Zotter: Das sind keine „Fehler“. Das sind Ideen, die ein sehr persönlicher Teil von mir sind. Wir entwickeln jedes Jahr an die 70 neue Ideen, natürlich müssen da andere weichen und für die Neuen Platz machen. Einiges funktioniert besser, anderes schlechter – das gehört zur Logik der Dinge. Mir persönlich sind ja die kruden und schrägen Ideen am liebsten. Wenn man etwas tut, entwickelt, dann gehört es ganz automatisch dazu, dass dabei fantastische Sachen und sogenannte „Fehler“ entstehen. Wir sind ja alle Menschen und keine Götter, dabei spielt es auch gar keine Rolle, ob man erfolgreich ist oder nicht. Wenn ich „Fehler“ mache, dann stehe ich dazu. Das ist überhaupt das Wichtigste, man muss die Fehler erkennen, neue Wege einschlagen und weitergehen. Natürlich muss man die Fehler nicht zur Schau stellen, aber zu behaupten, dass man keine macht, wäre glatt gelogen. Die ganze Natur, die Evolution und der Mensch basiert auf dem Trail-and-error-Prinzip. Ohne „Fehler“ keine Entwicklung!

Ich hoffe, Sie mit der Kraft der Metapher Friedhof und der Bandbreite ihrer vielseitig möglichen Nutzung und des damit verbundenen Nutzens etwas kreativ inspiriert zu haben. Sollten Sie in Ihrer Firma leider nicht die passende Kultur für starke Metaphern vorfinden, nutzen Sie diese beiden Ideen doch einfach in Ihrem Privatleben.

Diesen Post verdanke ich vielen Menschen:
Ich danke Josef Zotter, Yvonne Quella und Susanne Luef von der Zotter Schokoladen Manufaktur GmbH.
Und ich danke dem mir leider unbekannten Zuhörer, der mich bei meinem Vortrag „Visuelle Wertschöpfung für Wissensarbeiter – offline und online“ Con-ect Informunity auf Herrn Zotters Ideenfriedhof hingewiesen hat.
Danke auch an Wolfgang Keck und Bettina Hainschink ohne die ich diesen Vortrag nicht gehalten hätte.

Quellen:
(Gray, Brown, Macanufo, 2010) Gray, D., Brown, S., Macanufo, J. (2010) Gamestorming. A Playbook for Innovators, Rulebreakers, and Changemakers. O’Reilly Bejing, Cambridge, Farnham, Köln, Debastopol, Taipei, Tokyo. Auch online nachlesbar.

(Müller, Kluge, 1988-1995) Müller, H., Kluge, A. Transkript: Heiner Müller über Rechtsfragen. Interviews/ Gespräche zwischen dem westdeutschen Autor und Filmemacher Alexander Kluge und dem ostdeutschen Dramatiker Heiner Müller, die aufgezeichnet und zum Teil zwischen 1988 und 1995 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurden.

(Zotter-Webseite, 2013) Zotter > Essbarer Tiergarten -> Attraktionen

Abbildungen: 
Pre-Mortem aus (Gray, Brown, Macanufo, 2010), Josef Zotter auf dem Ideen-Friedhof von Firma Zotter