Wissen nützt nichts ohne kreative Verarbeitung. Das ist meine Überzeugung.

D.h., um Wissen aufzubereiten und zu transferieren, braucht es Kreativität. Ist man Kopfarbeiterin, tut es gut, auch mal mit den Händen kreativ zu sein. Es entspannt und reichert „verkörpertes Wissen“ an. Das ist ein Aspekt dieses Beitrages.
Außerdem zeigt er, wie man Zahlen zu Kreativität mit der Physikalisierung von Daten (Data Physicalization) greifbar machen kann.

 

Kreativität vergegenständlichen

Das war mein Ziel für eine Ausstellungsbeteiligung. Dem voraus ging eine Einladung von vier Künstlerinnen aus der Steiermark, gemeinsam eine Kunstausstellung zu veranstalten. Ich hatte schon einige Fotoausstellungen mit meinen Fotos gemacht beziehungsweise an Gemeinschaftsausstellungen teilgenommen. Doch diesmal wollte ich mich mit einem anderen Format herausfordern. Und die BesucherInnen auch ;-)

Steiermark, Frauen und Kunst, das setzt Kreativität voraus. So entstand meine Idee, die Kreativität der Steierinnen mit Datenkunst sichtbar machen. Daten gegenständlich zu zeigen und zu benutzen, dass macht die Menschheit schon seit langem. Doch je mehr Alternativen zu Lehmkugeln und dem Abakus zur Verfügung standen, desto weniger vergegenständlichten wir Daten. Dieses Format wurde jedoch als Data Physicalization wiederentdeckt, denn es weckt Aufmerksamkeit. Eine Zahl auf Papier kann man leicht überlesen. Eine Zahl in Gegenständen schwerer übersehen.

Lesen Sie meine Blogposts öfter? Dann kennen Sie meine Einführung zu Data Physicalization. Falls nicht, folgen Sie für eine kurze Einführung diesem Link und kommen Sie dann bitte für mein Beispiel hierher zurück. Danke :-)

 

Der Weg ist ein Ziel

Der Weg von meiner Idee zur Ausstellung war ein langer. Da dies ein Freizeitprojekt war, bin ich dankbar, dass unsere Eröffnung schon lange vorher feststand. Ich arbeite viel, also ist wenig Freizeit übrig. Und Kreativität braucht Inkubation. Dafür konnte ich einen genügend großen Zeitraum nutzen.

Ende Mai war es dann soweit:

Einladung Data Physicalization Graz
Meine Collage für unsere Einladung

Wie bei vielen (allen?) Visualisierungsformaten war auch hier der Weg ein Ziel, sogar viele Ziele:

  • Ich forderte mich heraus. Und nicht nur meine Studierenden :-)
    Und ich habe dabei etwas für mich und die Studierenden gelernt.
  • Ich stellte mal wieder etwas mit den Händen her.
    Zwar bin ich Buchbinderin, doch praktizierte ich das schon lange nicht mehr. Auch das Basteln mit meiner Tochter liegt weit zurück.
    Ich wollte meinen Wissensarbeiterin-Körper nicht nur nutzen, um mein Gehirn zu beheimaten und es von A nach B zu transportieren. Siehe dazu den sehr interessanten Artikel: „A knowledge worker needs a good body“ von Robert Poynton.
  • Ich vertraute dem, was ich zu Kreativität im Umgang mit Fachwissen meinen Studierenden und KundInnen vermittle und es wirkte.

 

Zahlen bitte

Zuerst galt es, Daten zu sammeln. Ich wollte der weiblichen Kreativität in der Steiermark habhaft werden, indem ich kreative Vereinigungen und Organisationen nach den Zahlen ihrer weiblichen Mitglieder gefragt habe. Nicht immer kam Antwort. Doch viele haben mir mit Daten geholfen beziehungsweise weitergeholfen. Mein Dank steht am Schluss dieses Beitrags.

Durch dieses Herangehen kann die entstandene Installation nur ein Zufallsbild weiblicher Kreativität zeigen – einen Ausschnitt. Doch ich glaube, diese Einschränkung ist sogar nützlich. Sie regt an, nachzudenken wer und was fehlt.

Ich habe Zahlen visualisiert

  • vom Bundesverband der Bildenden KünstlerInnen Österreichs, Landesverband Steiermark,
  • der FH JOANNEUM Gesellschaft mbH,
  • des Künstlerbundes Graz,
  • von nextliberty,
  • der Oper Graz,
  • des Schauspielhauses Graz,
  • der Sezession Graz,
  • der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz,
  • der Vereinigung Bildender Künstler der Steiermark,
  • des Werkbundes.

Kurz vor der Ausstellung machte eine zu kritisierende Bachelorarbeit der FH JOANNEUM Gesellschaft mbH Schlagzeilen. Da ich die fortschrittliche Seite der FH kenne und sehr schätze und auch keine der von mir visualisierten Designstudiengänge betroffen waren, habe ich die Zahlen der angehenden Designerinnen behalten.
Außerdem setzt sich die Hochschule aktiv mit der Situation auseinander.

Verzichten musste ich schweren Herzens auf die vielen Popsängerinnen und Popmusikerinnen der Steiermark. Sie hätten meine Kapazitäten zur Physikalisierung überschritten. Womit wir bei den Gegenständen für die Zahlen wären.

 

Gegenstände bitte

Gefühlt wird gerade viel gestrickt oder 3D-Druck genutzt, wenn es um gegenständliche Daten geht. Mir war wichtig, eine Form zu finden, die eher nicht so genutzt wird. Ein weiteres Kriterium war, alles mit dem Zug nach Graz bringen und in wenigen Stunden aufbauen zu können. Dass brachte Verzicht auf Ideen für Gegenstände mit sich. Doch muss das ja nicht Verzicht für immer sein. Ich habe jetzt Gegenstände-Ideen für Wien, die für verschiedene Statistik-Themen nutzbar sind ;-)

Es war ein langes Nachdenken mit Analogietechniken. Ich habe ausprobiert und verworfen. Dann kam die Idee: Blumen.

„Und während sie sprach, hauchte sie Frühlingsrosen aus ihrem Mund…“ sagte Ovid über die Göttin Flora Mater. Ich habe mit Blumen einen Ausschnitt zur kreativen Flora in der Steiermark sichtbar gemacht.

 

673 Blumen sprießen lassen

Zuerst waren da mal Blumenprototypen. Und dann die „echten“ Blumen aus Pflanzhölzern (Stängel) und farbigem Karton der Büttenpapierfabrik Gmund GmbH & Co. KG (Blüten).
Nein, das ist keine Werbung. Ich habe alle Materialien selbst bezahlt. Doch als Diplomingenieurin der grafischen Branche schätze ich gutes Papier, also verwendete ich Gmund Papier.

Vom Schreibtisch aufstehen und wieder eine Partie Stängel auf dem Balkon grün färben, das erfrischt den Geist. Blüten im Zug zur Lehre im Burgenland auszustanzen, führt zu anerkennenden Worten von kleinen Fahrgästen. Und es tut gut, aus dem Kopf herauszutreten, die Hände anders zu benutzen als zu tippen.

Die Legende

Natürlich gab es extra auch eine Minilegende bei jeder neuen Blütenfarbe in der Installation

Die „Blumenwiese“, die Steiermark im korrekten Landesgrün, war auch bald fertig, inklusive der Platte darunter. Doch plötzlich aus heiterem Himmel schrie mein Kopf: „Stopp!“
Abends, 3 Tage vor der Ausstellungseröffnung.
Wir wissen aus der Hirnforschung, das Gehirn tüftelt unbemerkt im Hintergrund. Fein. Die innere Warnmeldung signalisierte, dass die Idee mit der Steiermark als Grundfläche in Proportion zu meinen Blumen statistisch nicht korrekt ist. Ein Aspekt dabei: Raum für Männer wäre da nicht. Doch die gibt es in der Steiermark.
Und damit nicht genug, am Morgen nach dieser Erkenntnis wurde mir auch klar: diese Art der Grundplatte ist zu langweilig.

Der Ausweg war eine Zugfahrt und die damit einher gehenden Alphawellen im Gehirn, wenn man halb aufmerksam durch’s Land fährt. Diese Innensicht erinnerte mich an eine Künstlerin, die mit echten Blumen freie Kreativität schafft. Unter anderen hatte ich ein Foto eines sehr langen Blumenbeets durch einen Landschaftspark gesehen. Blüte hinter Blüte hinter Blüte.
Und mein Kopf sagte: „Nimm die Buchstaben S T E I E R M A R K als einzelne Blumenbeete“. Also bin ich abends geschwind vor‘m Feiertag noch in den Baumarkt gerannt und habe mir kleine Platten sägen lassen.

 

Data Physicalization Making of

Die Blumenbeete entstehen in Graz

 

Data Physicalization Steiermark

Zwar als Einzelbuchstaben auch gut inszenierbar, doch aus Platzgründen dann ab der Eröffnung so angelegt.
Foto von mir und meinen Beeten von Andrea Pierus

Jede Frau in meiner Zahlensammlung ist eine Blume. Studentinnen habe ich als etwas kleinere Blume angelegt. Da könnte man menschlich und statistisch trefflich darüber diskutieren.
Diskutiert wurde auch bei der Vernissage. Sicherlich ein ungewöhnlicher Anblick in einer Kunstgalerie.
Ich hoffe, weibliche Kreativität in der Steiermark etwas gewürdigt zu haben und den Wert von Zahlen einmal anders vor Augen geführt zu haben.

 

Was bringt Data Physicalization?

Mich durch diesen kreativen Prozess mit dem Kopf und den Händen durchzuarbeiten, war eine Herausforderung und hat gutgetan. Es hat mir sichtbar gemacht, welche kreativen Grenzen ich noch nicht verschieben kann und welche schon.

Für manche interne oder externe Kommunikationsaufgabe und -zielgruppe, kann das auch einmal ein Format sein, dass Sie ausprobieren könnten. Machen Sie damit doch Ihre Zahlen

  1. unübersehbar sichtbar,
  2. überraschend greifbar,
  3. nachhaltig erinnerbar.

 

Danke

Den Weg zu den verwendeten, selbstverständlich anonymen Daten haben viele Menschen geebnet. Dafür danke ich allen, die mir Zahlen gegeben haben, siehe oben, sowie dem Kulturamt Graz und der IG Kultur Steiermark. Außerdem bin ich den ausstellenden Künstlerinnen für Ihr großes Vertrauen in mich dankbar und für ihre Einladung teilzunehmen; sowie meinem Partner für Material-Inspirationen und Geduld als Diskussionspartner in der Entstehung der Installation. Susanne Strampfer-Rigerl danke ich für ihre Einführung zur Vernissage.

Das Cloud Quintett

Das Cloud Quintett v.l.n.r. Antonia Wöhrer, Florinda Ke Sophie, Andrea Pierus, Martina Pozgainer, ich.
Foto von uns von Martin Schmid

 

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