Dieses Buch präsentiert detailliert Projekte des Informationsdesigners Will Burtin. Burtin mit seiner „über 40jährigen herausragenden Karriere als Art Director, Grafikdesigner, Ausstellungsdirektor, Pädagoge und Berater“ (Remington, Pontis, 2021, S.1) „zeichnete sein logisches und funktionales Herangehen an Gestaltung“ aus. (Remington, Pontis, 2021, S.1) Davon kann man auch heute noch viel lernen. Darauf verweist der Untertitel des Buches: „Das wissenschaftliche Herangehen von Will Burtin an Informationsdesign.“
Mein Blog richtet sich an Nicht-Grafiker*innen, die ihr Fachwissen im Rahmen ihrer Möglichkeiten wirkungsvoll kommunizieren und transferieren möchten. Ich bin der Meinung, das interessante Buch kann auch Nicht-Grafiker*innen viele Inspirationen geben.
Den Verlag habe ich um ein Rezensionsexemplar gebeten, weil ich den Blog von einer der beiden Autor*innen sehr schätze. Sheila Pontis ist Informationsdesignerin, Pädagogin und Wissenschaftlerin. Sie lehrt unter anderem am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Den Link zu ihrem Blog finden Sie unten.
Der andere Autor – R. Roger Remington – ist Professor für Design am Rochester Institute of Technology (RIT).
Alle nachfolgenden Zitate stammen aus dem Buch von Remington, Pontis, 2021.
Alle Übersetzungen der Zitate des englischen Buchtexte (oben und nachfolgend) sind von mir.
Will Burtin
Will Burtin (1908 Köln – 1972 New York) zeigt, wozu ein integrer Mensch in der Lage sein kann, der immer konsequent seinen Horizont erweitert. Er war ein Mensch, dem es nicht um ästhetische Selbstdarstellung im Design ging. Es ging ihm immer darum, komplexe Informationen so zu gestalten, dass sie bestmöglich verstanden werden. Er nannte das „visuelle Kommunikation“, um es von Markendesign und Werbung zu unterscheiden (S.3) Dafür ging er viele Meilen in den Schuhen seiner Zielgruppen. Dazu später mehr.
Burtins Schulbildung wurde durch den 1.Weltkrieg stark reduziert. Vermutlich deswegen entwickelte er einen eigenen Weg, zu Kreativität und dem Problemlösen (S.7) Er war „unermüdlich neugierig und stets hungrig dazuzulernen“. (S.8) Sein Berufsweg in Deutschland führte vom Schriftsatz über die Kölner Werkschule bis zum eigenen Design-Studio. Die 1920er Jahre waren eine Aufbruchzeit für Design und eine Chance für grafische Experimente von Burtin. Seine „modernistische visuelle Grammatik betonte Einfachheit und direkte Kommunikation“. (S.9)
Hier als Beispiel zwei Innenseiten einer von ihm 1932 gestalteten Broschüre zu Industrieglas (S.15)
Die wachsende Bedeutung seiner Arbeit fiel auch den Nazis auf, die daran sehr interessiert waren. Auf abenteuerliche Weise gelang es ihm, diese hinzuhalten. Und im Sommer 1938 emigrierte er mit seiner jüdischen Frau in die USA. Burtin gestaltete dort Ausstellungen, sowie Fachpublikationen und unterrichtete. Zu Beginn der Teilnahme der USA am 2.Welkrieg diente er in der Armee. Jedoch erkannt man schnell, dass seine gestalterische Arbeit für die amerikanische Armee viel wertvoller war. Er setzte seine erfolgreiche Karriere fort und entwickelte bahnbrechende Herangehensweisen an die Gestaltung von sehr komplexen Informationen. Diese stellt das Buch vor.
Noch ein Zitat zu seinen Fähigkeiten:
„Er dünnte mühelos den dicksten Datenwald aus, während er dessen Bedeutung in’s Rampenlicht rückte.“ (S.ix)
Das Buch
Einige Ziele des Buches habe ich schon erwähnt. Hier noch mehr:
- Die Autor*innen blicken auch auf seine Arbeit entlang von 7 Dimensionen des Informationsdesigns. Diese widerspiegeln Themen, die in der Praxis und Bildungsarbeit von Informationsdesigner*innen kontinuierlich eine Rolle spielen. Siehe Bild hier darunter.
- Sein wissenschaftliches Herangehen und sein Mindest werden betrachtet.
- Es werden die Schritte untersucht, die er ging, um komplexe Informationen zugänglich zu machen.
- Parallelen zu heutiger Arbeit auf dem Gebiet des Informationsdesigns werden gezogen.
(S.4)
Das Buch richtet sich damit an alle Leser*innen für die diese Erkenntnisse in ihrer Arbeit nützlich sein können.
Die Analyse von beispielhaften Projekten Will Burtins
anhand der Dimensionen des Informationsdesigns nimmt den größten Raum des Buches ein. (S. 36)
Viel davon kann man selbst nutzen, auch wenn man keine solch große Projekte angeht und keine Informationsdesignerin/kein Informationsdesigner ist.
Einblicke in Burtins Projekte
„Burtin übersetzte in seiner Arbeit“ im 2.Weltkrieg „militärisches Wissen“ für die US-Armee und danach für viele Firmen „modernste wissenschaftliche Erkenntnisse zu Pharmakologie, Mikrobiologie, Biochemie und Kernphysik“. Zielgruppen nach dem Krieg waren sowohl erfahrene Expert*innen auf diesen Fachgebieten als auch Studierende und die Öffentlichkeit. (S.21)
Alle im Buch vorgestellten Projekte werden ausführlich in Text und Bild sowie mit einem Fazit zum Herangehen behandelt.
Beispiele nützlicher Inspirationen:
- Will man komplexes Fachwissen weitergeben, ist das forschende Herangehen entscheidend für den Erfolg.
Es gilt, herauszufinden, was Kernbotschaften für die Zielgruppe und Situation sind. Burtin war dabei sehr ausdauernd, bis er geeignete Strukturen und Kernbotschaften herausgearbeitet hatte. In einem Projekt für die US-Armee und Schützen in Flugzeugen nahm er sogar selbst an der Ausbildung teil. Wertschätzung für die Zielgruppe war ihm sehr wichtig. Sie verdienen eine würdige Behandlung und klarste Kommunikation. (S. 71) Das bedeutet keine Handbücher, die von oben herab zu ihnen sprechen. (S. 71) Aufklärungsfilme zu den Geschützen funktionierten nicht. Daraus lernte man. Auch in den Visualisierungen in den Handbüchern wurde reduziert, reduziert bis auf den Kern. Wobei Kontext durchaus – zurückgenommen – erhalten blieb. - Er nutzte konsequent didaktische Reduktion, um Ziele auch wirklich zu erreichen. Weniger ist mehr. Zum Beispiel reduziert er beim Projekt „Das Gehirn“ die Darstellung der Sinne auf die zwei essenziellsten. (S. 56) Das bedeutet nicht, dass man unkorrekt arbeitet. Das bedeutet, dass man priorisiert, um verstanden zu werden. Selbstverständlich werden diese Reduktion und der Kontext als Rahmen erwähnt.
Es kann auch bedeuten, dass man den Aufwand des Verstehens für die Zielgruppe mit der Wahl der Medien der Vermittlung reduziert. Beim Projekt „Die Zelle“ hatte die Zielgruppe zu wenig Zeit zum Lesen. Es wurde also ein begehbares 3-D-Modell gewählt. (S.103) - Kodifizierung
Ausschnitt einer Doppelseite einer Broschüre des Projektes „Stoffwechsel“. (S.48)
Hilfreich ist auch, sich des vielfältigen Instrumente visueller Kodifizierung bewusst zu sein. Und sie dann natürlich überlegt und wieder reduziert sowie fokussiert einzusetzen. (S.53) - Nicht nur bei so großen Projekten wie im Buch geschildert, kann es sich lohnen Prototypen zu entwickeln. Ist zum Beispiel das Fachwissen komplex oder die Zielgruppe speziell, kann ein Test der Verständlichkeit diverse Enttäuschungen vermeiden. Zu Prototypen und deren Tests werden im Buch verschiedene Herangehensweisen vorgestellt. (u.a. S.53, 67, 89)
- Bezogen auf die Ausbildung von Informationsdesigner*innen zog Burtin ein Fazit seiner Arbeit. Dies zeigt wie bedeutsam flankierende Fähigkeiten – auch für uns – sind. Wie wir unseren Denkprozess gestalten, ist entscheidend. Wie gut sind unsere kommunikativen Fähigkeiten, um Beteiligte in der Aufbereitung und der Kommunikation von Fachwissen zielführend zu verbinden? Können wir das noch Unsichtbare in jeder Phase vor Erreichen des Kommunikationsziels sichtbar machen? (S.145)
Wie gut sind unsere Fähigkeiten der Analyse von Situationen für die Fachkommunikation? Wie gut können wir Fachwissen organisieren und zu nützlichen Schlussfolgerungen kommen? (S.146)
Es geht also nicht nur um Fähigkeiten für die visuelle Aufbereitung. Für Erfolg braucht es weitere Fähigkeiten.
Will Burtins wissenschaftliches Herangehen an visuelle Kommunikation (S.154)
Fazit
Ich bin sehr begeistert von dem Buch. Es stellt ein Vorbild aus der Geschichte der visuellen Kommunikation von Fachwissen vor. Und es stellt dieses Vorbild sehr informativ und sehr hilfreich für die heutige Zeit vor. Das gilt sowohl für den Text als auch die visuelle Aufbereitung des Buches.
Auch wenn man verantwortlich für viel kleinere Aufgaben oder Projekte der Kommunikation und des Wissenstransfers ist, findet man viel Nützliches im Buch.
Auch wenn real begehbare 3-D Modelle oder reale Ausstellungen nicht im Rahmen Ihrer Möglichkeiten liegen, gibt es ja doch Alternativen dafür, für die man übertragbare Herangehensweisen kennenlernen kann.
Auch wenn man keine Informationsdesignerin/keine Informationsdesigner ist, findet man im Buch sehr viele Inspirationen, Warnungen und Bekräftigungen.
Mehr: Blog der Autorin Sheila Pontis.
Buchbesprechung „Visualisierung. Bildwissen – Wissensbilder“ von mir.
Quelle:
Remington, Roger R., Pontis, Sheila, Ph.D. (11/2021) Communicating Knowledge Visually. Will Burtin’s Scientific Approach to Information Design. Rochester Institute of Technology Press.
188 Seiten. ISBN-13:978-1-939125-85-9
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