Eine Serie über kreative Methoden die Wissen sichtbar und Wissen nutzbar machen.
Heute betrachte ich einen Aspekt zu dem das Zitat des Magnum-Fotografen Ferdinando Scianna gut passt: „A photograph is not created by a photographer. What they do is just open a little window and capture it. The world then writes itself on the film. The act of the photographer is closer to reading than it is to writing. They are the readers of the world.“
Wir können Leser der Welt sein, wir können Leser unserer Welt sein. Dabei hilft partizipative Fotografie.
Geschichte der Methode
Die Methode hat verschiedene Quellen.
Einerseits ist die partizipative Arbeit mit Fotografie in verschiedenen Forschungsdisziplinen und deren Projekten schon lange gang und gäbe. Auch für kreative Prozesse wird Fotografie genutzt – z.B. als gemeinsame oder einzelne Aufwärmübung oder Ideengenerator. Partizipative Fotografie hat sich auch in der Sozialarbeit verbreitet. 2011 habe ich bei Ute Wiese-Hast und Jürgen Hast deren Weg in der Sozialarbeit kennengelernt, Fotografie zu Selbst- und Fremdbild in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen partizipativ einzusetzen.
Außerdem existiert die Variante der Methode (von) Photovoice, die zu Beginn der 90er Jahre entwickelt wurde. Damit sollen benachteiligten und marginalisierten Menschen Möglichkeiten gegeben werden, ihre Stimme für sozialen Wandel zu erheben.
Die Methode kann man in Trainings bei PhotoVoice in London erlernen, was ich dieses Jahr ausprobiert habe und nur empfehlen kann – danke, Liz Orton!
In diesem Blogpost möchte ich Ihnen Aspekte der Methode und ihrer Varianten vorstellen und wie Sie diese in verschiedenen Umfeldern nutzen können.
Beschreibung der Methode
“PhotoVoice Projects enable those who are traditionally the subjects of photography to become its creator.“ (PhotoVoice)
Auch Menschen, die nicht sozial/gesundheitlich/politisch benachteiligt sind, hilft die Methode ihrer textlastigen Welt zu entkommen und diese „nonverbale Ebene öffnet Türen zum Wesentlichen.“ (Kunc-Schultze, 2011)
Kombination aus Gruppenaktivitäten und Einzelaktivitäten.
Mögliche Bestandteile der Methode:
- Ziele, Zielgruppen, Beteiligte definieren → Projekt aufsetzen, Partnerschaften/Sponsoring finden, Beteiligte finden.
- Projekt-Programm entwickeln.
- Betreuung und Schutz der Beteiligten klären, Regeln, Datenschutz, Einsatz der Ergebnisse.
- Kennenlernaktivitäten für alle Beteiligten & die Projektdetails.
- Visual literacy-Übungen (Möglichkeiten und Wirkung von Fotografie kennenlernen).
- Foto-Dialog-Übungen (Gespräche über „Fotos, Haltungen, Emotionen und Standpunkte“ führen, um sich mit dem Projektthema besser auseinandersetzen zu können). (PhotoVoice)
- Die eingesetzten Fotoapparate kennenlernen.
- Fotografieren.
- Treffen, Fotos diskutieren, Thema weiterentwickeln.
- Fotografieren.
- Fotos auswählen, editieren.
- Dissemination der Fotos und Erkenntnisse.
Soweit so relativ einfach. Natürlich spielen Emotionen, die durch die Bilder frei werden eine große Rolle in der persönlichen Entwicklung der Beteiligten und damit auch im Projekt. Deshalb werden auch mit Übungen Kommunikation und Vertrauen gestärkt.
Das ist mal eine vereinfachte Liste. Die Mühe lohnt, siehe unten. Und nicht immer benötigt man alle Elemente.
Anwendungszenarien
Eine Auswahl:
- Interessenvertretung, Anwaltschaft (z.B. New Londoners über Migranten, die Londoner geworden sind oder My City My World über Jugendliche in Liverpool,…)
- Team- und Organisationsentwicklung (Dialoge ermöglichen – z.B. im Change Management, Standort-, Zielbestimmungen,…)
- Kommunikation/Verständigung vieler Beteiligter ermöglichen (z.B. in Netzwerken, bei Stadtentwicklung,…)
- Wissen generieren, Wissenstransfer (z.B. eine Variante von Collective Notebook, Fotoexkursion,…)
- Selbsterkenntnis, Selbststärkung (z.B. Erfolge sichtbar machen)
Warum funktioniert’s
Fotografische Erkenntnissuche
- „ermöglicht die Visualisierung innerer und äußerer Bilder,
- eröffnet eine Metaebene, die unsere Sinneswahrnehmungen ergänzt, denn unsere aus Sinneseindrücken zusammengesetzten Collagen sind … keine wahren Abbilder unserer Realität, sondern Konstrukte.“ (Kunc-Schultze, 2011)
Die Methode schafft dafür einen ermöglichenden sicheren Raum.
Nutzen
Wieder nur eine kleine Auswahl (teilweise vom National Empowerment Center):
- Neue Erkenntnisse zum gewählten Thema für Beteiligte, AuftraggeberInnen, ggf. die Öffentlichkeit (Ausstellungen, Zeitungsberichte, Publikationen).
- Es ermächtigt die FotografInnen:
Ich habe etwas zu sagen.
Ich kann etwas sagen.
Ich kann meine Gefühle (auch) so ausdrücken.
Ich kann so etwas sagen, was ich auf andere Weise nicht sagen könnte. … - Bringt den TeilnehmerInnen das Gefühl,
dass man kritisch denken kann,
sich und etwas so oder anders sehen/definieren kann,
etwas ver/ändern kann,…
Man kann (einmal) die Ecke verlassen, in die einen die Gesellschaft gestellt hat.
Das gilt im sozialen, gesellschaftlichen Umfeld genauso wie vielleicht in Ihrem beruflichen Umfeld. Wenn Sie Wahrheiten interessieren: “Ultimately photography is about who you are. It’s the seeking of truth in relation to yourself.” (Leonard Freed).
In dieser Serie erschienen auch:
Abbildung:
Ein Foto einer meiner Lebenseinstellungen aus dem o.g. Wiese-Hast & Hast-Workshop.
Quellen:
(Kunc-Schultze, 2011) Kunc-Schultze, Karmen (2011) Fotografie im Coaching. Persönlichkeitsentwicklung mit Photoprofiling. Rosenberger Fachverlag, Leonberg
(National Empowerment Center) Chamberlin, Judi A Working Definition of Empowerment
(PhotoVoice) PhotoVoice 3 day Training Workshop – Participant Guide
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